Alfred Bartoletti

1907 - 1979

Alfred Bartoletti war ein bescheidener, ruhiger, gar schweigsamer Mensch. Diese Eigenschaften lassen sich auch in seiner Kunst wiedererkennen. Die Bilder des Luzerner Malers drängen sich nicht auf. Ihre Qualität liegt in einer stillen Ausstrahlungskraft, die einen bei intensiver Betrachtung in eine Welt voller Licht und Farben eintauchen lässt.

Bartolettis Zurückhaltung lässt sich auch in seiner Kunst wiedererkennen.

Bartoletti empfand Vernissagen seiner eigenen Ausstellungen als «unangenehmen Seelen-Striptease», wie er es bezeichnete. Dies, obwohl die abstrakten Bilder des Künstlers keine privaten Geheimnisse verraten. Wahrscheinlich war seine Zurückhaltung mit ein Grund, dass Bartoletti aus seiner Kunst kein grosses Geschäft machte und bei seinem Tod am 14. März 1979 seiner Frau Raja ein umfangreiches Erbe von rund achthundert Bildern hinterliess.

Alfred Bartoletti mischt Farben

Quelle: Lisa Meyerlist, Staatsarchiv Luzern PA 1270/155.2

Vom Sohn eines Malermeisters zum Kunstmaler

Alfred Bartoletti kam am 23. Februar 1907 in Luzern zur Welt. Hier betrieb sein Vater Carlo ein Malergeschäft. Durch den Beruf seines Vaters kam Bartoletti schon früh mit Farbe in Berührung.

Seine Eltern, die von der Toskana in die Schweiz eingewandert waren, unterstützten ihren Sohn bei seiner Ausbildung zum Kunstmaler. In Luzern besuchte «Barto» – wie er in seinem Freundeskreis genannt wurde – die Kunstgewerbeschule, um nach erfolgreichem Studienabschluss seine Ausbildung an der Accademia di Belle Arti in Florenz und Rom sowie an der Académie Ranson in Paris fortzusetzen. Studienreisen in die USA folgten in den Jahren 1936 und 1947.

Bartoletti war der Malerei kĂĽnstlerisch und handwerklich verbunden.

In Luzern arbeitete Bartoletti im florierenden Malergeschäft seines Vaters mit, das er nach dessen Tod in den fünfziger Jahren übernahm und weiterführte. Die technische Sorgfalt, die man in Bartolettis Malerei erkennen kann, mag sich durch die nicht nur künstlerische, sondern auch handwerkliche Bindung zur Malerei stark entwickelt haben.

Geprägt durch die vielfältigen Eindrücke, die er aus seiner künstlerischen Ausbildungszeit mitnahm, begann Bartoletti vermehrt zu experimentieren und seinen eigenen Malstil zu entdecken.

Anfängliches Experimentieren mit gegenständlicher Malerei

In der ersten Hälfte seines Schaffens, von den dreissiger Jahren bis in die fünfziger Jahre, widmete sich Alfred Bartoletti der motiv- und figurenorientierten Malerei. Er kreierte Bilder der Gattung Stillleben, die sich mit der Darstellung von ruhenden Objekten auseinandersetzt. Bartoletti arrangierte stille Gegenstände wie Gitarren, Früchte und Gefässe unter anderem im Stil des von Juan Gris geprägten Kubismus.

Des Weiteren übte sich Bartoletti in der Akt- und Portraitmalerei, die er in drei unterschiedlichen Stilen ausdrückt: Erstens zeigen sich die von Bartoletti gemalten Männer und Frauen in einer surrealistischen Welt, einige davon unter Wasser auf dem Meeresboden, zweitens hauptsächlich weibliche Akte in einem impressionistischen Stil und einer natürlichen Farbgebung, drittens abstrakte, kubistisch angehauchte Akte und Portraits in fantasievollen Farben.

Auch Landschaften wählte Bartoletti als seine Motive – Szenen, die sich in Südfrankreich, oft am Meer, abspielen. Bartolettis Landschaften können sich ebenfalls in einem natürlichen, impressionistischen, aber vermehrt auch einem abstrakten Stil zeigen, bei dem sich die Umgebung aus geometrischen Bausteinen zusammensetzt.

«Bartoletti zeigte sich als sensibler Designer und Innenarchitekt.»

Guy AndrĂ© Mayor, Luzern 1982

In den frühen dreissiger Jahren entwarf der vielseitig begabte Bartoletti auch Möbel sowie andere Einrichtungsgegenstände. Die bequemen und stilvollen Stahlrohrsessel, Glastische, Schränke und Teppiche fanden später ihren Platz in seiner Atelierwohnung an der Steinhofstrasse in Luzern. Wie Guy André Mayor beobachtete, bildeten sie mit seinen Gemälden eine einheitliche, moderne und geschmackvolle Wohnwelt.

Geometrische Farbkompositionen entwickeln sich zu Bartolettis eigenem Stil

Bereits in seinem Frühwerk experimentierte Alfred Bartoletti mit der Gegenstandslosigkeit und brachte mit seinem Pinsel Kompositionen hervor, die sich aus rein geometrischen Formen aufbauen. Quadrate, Rechtecke, Dreiecke und Trapeze fügen sich zu einer zuvor festgelegten rhythmischen Anordnung zusammen. Dabei behält trotzdem jede Form ihren eigenen persönlichen und unabhängigen Wert. Es entsteht eine «Anarchie der Formen», die von selbst leben, obwohl der Autor vielleicht beabsichtigte, sie zu beherrschen, wie Christie Cavalero feststellte.

Jede Form behält ihren unabhängigen Wert – eine «Anarchie der Formen».

Christie Cavalero, Cannes 1979

Der geometrische Ausdruck ist also in Bartolettis Werk von Anfang an präsent, doch welche Entwicklung durchläuft sein Stil?

Während längerer Aufenthalte in Paris anfangs der fünfziger Jahre öffnete sich der Innerschweizer Maler zwei Stilrichtungen, die sein späteres Werk beeinflussen sollten: einerseits dem abstrakte Expressionismus der École de Paris mit Roger Bissière und Nicolas de Staël bis zu Annäherungen an Jackson Pollock, andererseits der meditativ-lyrischen Abstraktion von Wassily Kandinsky, Paul Klee und Mark Rothko.

In der südfranzösischen Provence, seiner Wahlheimat, baute Bartoletti mit einem Freund 1960 ein Haus, wo er fortan den Winter verbrachte, um der rauen Kälte der Schweiz auszuweichen.

In dieser Zeit festigte sich auch Bartolettis Stil in der gegenstandslosen Malerei. Die Form trat in den Hintergrund. Der Künstler löste sich vom Motiv los und ging zur reinen Abstraktion über. Bartoletti verzichtete auf durchgezogene Linien und strikt abgegrenzte Flächen. Grosse, farbige Zonen und energiegeladene Felder entstanden durch das Zusammenspiel von kleineren, farblich fein abgestuften Komponenten. Tiefe erzeugte er einzig und allein durch gekonntes Einsetzen von Licht, Schatten und farblicher Transparenz, ohne perspektivische Verkürzung zu Hilfe zu nehmen. Dabei stand nicht die geometrische Form im Mittelpunkt, sondern der Dialog zwischen Farbe und Licht.

«Interessiert hat Bartoletti die Farbe, das Zusammenklingen der Farben, die Farbenmusik.»

Guy AndrĂ© Mayor, Luzern 1982

So setzte Bartoletti gerne komplementäre Farben nebeneinander. Seine Rot-Grün- oder Blau-Gelb-Kompositionen sind durch ihre farbliche Gegensätzlichkeit reich an Kontrasten. In anderen Gemälden hingegen spielte Bartoletti mit einem einfarbigen Kolorit und rief eine Lebendigkeit nur durch die feinen Unterschiede verwandter Stufungen und durch den Wechsel der Farbintensität hervor.

In einigen Bildern der fünfziger und sechziger Jahre verwendete Bartoletti noch eine wild bewegte, manchmal etwas ungezähmte Pinselschrift. In seinem Spätwerk, das um 1960 beginnt und sich bis in die siebziger Jahre durchzieht, beobachtet man hingegen die ruhenden, bewusst gesetzten geometrischen Flächen.

«Das mediterrane Klima seiner Wahlheimat prägte auch Bartolettis Malerei.»

Eva Roelli, Luzern 1992

Inspiriert durch seine Aufenthalte in seinem Haus in Saint-Tropez wählte Bartoletti meist südliche Farbklänge, die eine Verbindung zu Sonne, Meer oder üppiger Vegetation zulassen. Stets war er darauf bedacht, das Spiel der Farben und Flächen in einem harmonischen Gleichgewicht zu halten. In einigen Beispielen ist die gesamte Komposition lichtdurchflutet, in anderen ist es nur ein einzelnes leuchtendes Viereck, das Träger der mediterranen, sonnigen Ausstrahlung ist.

Während Bartoletti künstlerisch seinen eigenen Stil entdeckte, fand er auch privat sein Glück. Er war ein sinnlicher Mensch, ein Lebenskünstler, der nicht nur an bildnerischer Gestaltung sondern auch an Musik, Literatur und Sprachen sowie an Philosophie, Politik und Wirtschaft interessiert war. Gerne teilte er seine Interessen und seinen Humor mit seiner Lebenspartnerin Raja Haefeli, die er 1963 heiratete.

BerĂĽhmte Freunde und EinflĂĽsse

Trotz seiner Zurückhaltung war Alfred Bartoletti ein geselliger Mensch und schätzte die Freundschaft. Auch in seinem künstlerischen Schaffen war er gerne in Gesellschaft und beteiligte sich an vielen Gruppenausstellungen.

Bereits in den dreissiger Jahren – zum ersten Mal mit 25 Jahren – war er Teil der Ausstellungen des Salon des Surindépendants in Paris, des Vorgängers des Salon de Mai. In den vierziger Jahren war er Mitglied der Allianz, einer Vereinigung moderner Künstler. Vergleicht man Bartoletti mit bekannten Mitgliedern wie Max Bill, Richard Paul Lohse und Camille Graeser erkennt man, dass er anders als diese konkreten Künstler den Wert nicht auf eine rein mathematische, berechnete Anordnung von geometrischen Formen und monochromen Farbflächen legte. Vielmehr leben Bartolettis Bilder von den sorgfältig erarbeiteten Farbnuancen und vom Licht, das mit den Farben spielt. Bartolettis reifste Werke reichen gemäss Guy André Mayor in ihrer hohen Spiritualität an die Bilder eines anderen Mitglieds der Allianz heran: Paul Klee.

Während vieler Jahre war Bartoletti an verschiedenen Schweizer und Innerschweizer Kunstausstellungen präsent – wie den Schweizerischen Kunstausstellungen 1951 in Bern und 1956 in Basel, von 1930 bis 1965 an mehreren Weihnachtsausstellungen der Innerschweizer Künstler im Kunstmuseum Luzern und von 1966 bis 1971 an Sommerausstellungen der Galerie Raeber in Luzern.

Auch in Frankreich traf man auf Bartolettis Kunst. So zeigte er seine Bilder ab 1968 an Gruppenausstellungen in der Galerie Cavalero in Cannes. Dass er in der internationalen Kunstszene anerkannt und beliebt war, offenbarte die Einladung von Luc Peire: Bartoletti stellte 1974 am Salon des Réalités Nouvelles in Paris aus.

In einem freundschaftlichen Umfeld erzählte Barto gerne, was er gerade auf welche Art malte. So gefiel es ihm, sich mit seinen engen Künstlerfreunden Nicolas de Staël, Alexandre Istrati, Natalia Dumitresco und Max Raphael zu verabreden und mit ihnen gemeinsam zu malen oder sich bei einem feinen Essen zu unterhalten.

«Wenn Bartoletti irgendwo eingereiht werden soll, dann zwischen Delaunay und Klee.»

Guy AndrĂ© Mayor, Luzern 1982

Bartoletti knüpfte Kontakte zu vielen bekannten, modernen Künstlern und setzte sich mit verschiedenen Stilrichtungen seiner Zeit auseinander. Persönlich gut kannte er Pablo Picasso und Fernand Léger, auf die er in Südfrankreich traf. In Paris tauschte er sich mit Robert Delaunay, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Joan Miró und Serge Poliakoff aus. Guy André Mayor vergleicht Bartoletti neben Klee auch mit Delaunay. Der Kunstkritiker setzt die gelassenen, in sich ruhenden Werke Bartolettis zwischen die bewegten, farblich expressiven Bilder Delaunays und die traumhaft verspielten Kompositionen Klees.

Als «Säulen» seiner Vorbilder bezeichnete Bartoletti Tizian, den Meister der italienischen Hochrenaissance, Paul Cézanne, einen Vertreter der klassischen Moderne, und Georges Braque, den Mitbegründer des Kubismus.

«Die Säulen meiner Vorbilder sind Tizian, Paul Cézanne und Georges Braque.»

Alfred Bartoletti

Als er sich später vom regen Kunstbetrieb zurückgezogen hatte, sprach Bartoletti nur selten von dieser aufregenden Zeit seines künstlerischen Aufbruchs.

Trotz seiner internationalen Verbindungen und bekannten Freunde ist Bartoletti zu Lebzeiten nicht berühmt geworden. Die Erfolge seiner Weggefährten schienen den selbstkritischen Bartoletti eher zu entmutigen. Er hat sich nicht gerne ins Rampenlicht gedrängt.

Seine erste Einzelausstellung fand deshalb erst 1961, als er bereits 54 Jahre alt war, in der Galerie 21 in ZĂĽrich statt. Kurz vor seinem Tod, im Februar 1979, stellte er zum ersten Mal alleine in Frankreich, in der Galerie Cavalero in Cannes, aus. Seine erste Einzelausstellung in seiner Heimatstadt Luzern hat Bartoletti leider nicht mehr miterlebt. Die Retrospektive wurde 1982 von seiner Frau Raja in der Luzerner KornschĂĽtte durchgefĂĽhrt.

Bartolettis Beziehung zu seiner Malerei

Ende der sechziger Jahre verkaufte Alfred Bartoletti das Malergeschäft seines Vaters und widmete sich fortan ausschliesslich der Malerei. Bartoletti sagte, er male «pour mon petit plaisir personnel» – für sein eigenes kleines Vergnügen. Dies war jedoch untertrieben, denn er war ein besessener Maler, der wie sein ernanntes Vorbild Paul Cézanne mit seiner Arbeit nie ganz zufrieden war. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb viele von Bartolettis Werken weder datiert noch signiert sind. Das Malen selbst schien ein stetiger Prozess, der vermutlich wichtiger war als das fertige Bild.

«Ich male für mein eigenes kleines Vergnügen.»

Alfred Bartoletti

Seinen Bildern gab Bartoletti absichtlich keine Namen. Er überliess dem Betrachter die Freiheit in der Interpretation. Dieser sollte unvoreingenommen an die Bilder herantreten und ihnen den Sinn verleihen, den sie bei ihm auslösten. So ist es jedem selber überlassen, in Bartolettis Kunst eine Antwort zu finden.

Alfred Bartoletti mit Bild

Quelle: Lisa Meyerlist, Staatsarchiv Luzern PA 1270/155.1

Bartolettis Werk – ein verborgener Schatz

Vierzig Jahre nach dem Tod Bartolettis befinden sich seine Bilder immer noch zum grössten Teil im Besitz seiner Familie. Viele Jahre haben die Gemälde in einem dunklen Keller geschlummert und darauf gewartet, ans Tageslicht zu kommen. Denn nur so können sie ihre südfranzösische Wärme ausstrahlen und dem Betrachter mit ihrem raffinierten Farbenspiel Freude bereiten. Entdecken Sie Auszüge aus Alfred Bartolettis gesamtem Werk und erwecken Sie die Kunst des Innerschweizer Malers zum Leben.